Hotel

von | 07.Aug.2015 | Poesie | 2 Kommentare

Das Personal steht aufgereiht auf der Eingangstreppe,
der Hotelchef wischt sich hochgradig nervös den Schweiß von den Geheimratsecken,
denn er weiß, wenn alte Herren kleine Jungs spielen wollen, wird das seine Einnahmen deckeln,
und so fahren die CEOs und Senior Chefs vor seinem Hause vor,
bereit, um für eine Nacht hier einzuchecken.

Der Fuhrpark gut bestückt, Gehstock, Rolex und Zylinder bei,
die gesellschaftliche Beletage lässt heute Abend Anstand, Frau und Kind daheim,
lässt es trotz Hochsommers für teure Pelze Winter sein,
wer von den alten Herren nur melierte Schläfen hat, gehört eigentlich in ein Kinderheim.

Ein Klassentreffen nennt man es, gemietet wird der größte Saal des Hauses,
einflussreiche reiche Opas, mit dem Ziel, sich durch ihren Größenwahn zu saufen,
die Versammlung guter Freunde, ein obszöner, alter Haufen,
steht jetzt im Hotel, schwache Blasen treten aus, nur ein Öl-Magnat lässt laufen.

Durch die hohe Glasfront in der Lobby scheint die Abendröte,
Kreditkarten im Anschlag, Stöckelschuhe auf Marmorböden,
Dekadenz bis unters Dach und Darmfloren wie Hafenmöven,
vier voll besetzte Fahrstühle katapultieren unsere spaßige Meute auf Etagenhöhe.

Die Räumlichkeit, in der gefeiert wird, kann man als Schlaraffenland sehen,
die jungen Frauen rennen den mit edelster Brause gefüllten Karaffen entgegen,
jeder weiß, es wird ein Affentanz geben,
das hohe Haus hat sich für diese Nacht wohl das größte Monster erschaffen, das lebt.

Der große Tresen wird zum Mittelpunkt des who-is-who,
in dieser Edelunterkunft haust nur Elite,
die Escort-Damen sind leicht bekleidet, die Herren gut betucht,
das Unheil außerehelicher Unvernunft kauft sich hier Liebe.

Laszive leichte Ladies tanzen, den Hörgeräten fliegen die Strings um die Ohren,
die Suite, die schon lange keine Suite mehr ist, wird zum Springbreak für Senioren,
ein schwarzer Kellner, der edle Gläser hinstellt, wirkt verloren,
die Alten reden über früher, tönen lauthals durch den ganzen Raum: „Mehr Trinkgeld für den Mohren!“

Über die Ehefrauen wird gelästert, „was sie nicht kennt, muss sie nicht wissen“,
spricht der kleinste Opa, Ehrendoktor, zig weitere Titel,
er nimmt die große Blonde an die Hand, ruft, dass jede Heirat ein Witz ist,
und verteilt Minuten später mit hochrotem Kopf in seinem Eifer der Hitze potenzsteigernde Mittel.

Man sagt, dass Hochmut vor dem Fall kommt, also quasi nonchalant vor worst case,
und dass dieser Fall schneller kommen kann, als man sich vorstellt,
vor allem wenn eine zuhause sitzen gelassene, hoch erzürnte Ehefrau eine Hotelsuite stürmt, verharmlost man das vorschnell,
allerdings nicht, wenn sie das Kleinkaliber ihres Ehemannes in der Hand hat, und ihm selbiges nun von der Seite an sein Ohr hält.
Der Knall durchbricht den Trubel, dann zwei Sekunden Ruhe,
mitten im Raum weint eine Frau, im kleinen Ehrendoktor steckt die Kugel,
Kreischen und Panik lassen ein Unglück vermuten,
doch wer rational die Szenerie betrachtet, sieht im Rachefeldzug der Ehefrau vielleicht auch etwas Gutes.

Am Tag darauf sitzt eine Familie vor der hohen Glasfront in der Lobby und wartet auf ihr Zimmer,
und kürt zur Überbrückung langer Weile den Mikado-Sieger,
im Hintergrund ein leises Klimpern,
alles wie immer, es untermalt den zurückgekehrten Alltag ein grauhaariger Pianospieler.

Hotel.

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2 Kommentare

  1. Erato

    Dieses Gedicht ist wirklich ein Meisterwerk…
    Ich bin überwältigt !!!

    Antworten

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