Lichter am Nachthimmel

von | 18.Jun.2018 | Dies & Das, Poesie | 0 Kommentare

Vorbemerkung: ich bin 6 Jahre alt.

Grölende Donnerkugeln und ein lichterlohes  Blitzlichtergewitter verzieren den Nachthimmel in samtenen Farben und in wenigen Momenten scheint es, als würde der Himmel anfangen zu brennen.
Zwischen schwarzen und dunkelgrauen Wolkenvorhängen eröffnet sich ein illustres Vorstadttheater aus Schauern und Regentropfenperlen, die erst stürmisch und dynamisch wie ein Ritter, der seine Prinzessin von einem bösen Zauberer befreien will, hernieder prasseln und dann ganz sacht am Fensterrahmen hinuntergleiten, so langsam und sorglos wie eine Weinbergschnecke über zartgoldenes, feuchtes Herbstlaub gleitend.

Das Ensemble aus Donnergroll und den feuchtnassen Pfeilspitzen auf der Fensterscheibe wird dann aber übertönt von den dämonischen Schreien aus dem Elternzimmer. Etwas fliegt gegen die Zimmerwand und zersplittert scheinbar in tausend kleine Glasflocken, die womöglich auf die Dielen säuseln wie die zarten Schneeflocken im Spätwinter, aus denen ich eine preiswürdige Schneeskulptur erbaue, deren künstlerischer Intellekt allein die Werke Picassos, Monets oder Cezannes in den eitlen Windschatten stellen, aus dem sie einst hervorgezaubert worden.

Die Tür wird aufgeschlagen und ich spüre wie die Türklinke eine Kerbe in das weiche Gipskarton der Wände stößt und der Putz gewollt anstatt der Wände nun den kahlen Fußboden verziert. Es ist beinahe wie im Sommerurlaub des letzten Jahres, als ein Straßenkünstler mit dem Strandsand des Sandstrands wunderbar filigrane Motive auf dem Straßenasphalt der Asphaltstraße skizzierte.

Das auf mich zu stürmende Gepolter macht mir Angst: ich stehe im Wachturm meines Schlossreiches, umringt von gipfelhohen Steingemäuern, die mein Königreich umschließen. Eine feindlich gesonnene Armee zielt seine Pfeile in Richtung meiner Brust, aber ringsumher verwahren mich Steinblöcke, Holzgiebel und eiserne Soldaten vor dem sicheren Tod.

Ich fliehe auf den Dachboden und schließe mich ein. Ein Habicht mit seinen blutrünstigen, gelben Augen wetzte seine Klauen und war gewillt mir mit seinem Schnabel eine zu bereiten. Gejagt, durch verwinkelte Baumgassen und Schlupfwinkeln aus Freiluftwurzeln, konnte sich mein Mäuserichherz endlich hier in Sicherheit wissen.

Ich schaue aus dem Fenster und lausche dem Gewitter. Diese Farben: wie das Silvesterfeuerwerk mit dir, liebe Mama, so bunt und schrill und laut und außergewöhnlich, wie aus einer anderen Welt.
Mit kalten Füßen, angelehnt an alten Kleiderkartons, lausche ich noch einige Zeit dem Blitzspektakel bevor ich dann doch einschlafe.

© P. Haupt, 2018

 

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