Das Wasser spricht zum Leben

von | 18.Okt..2025 | Dies & Das, Poesie, Weisheiten | 0 Kommentare

Du, mein Kind, sieh dich an, im Spiegel deiner selbst. Immerzu willst du mir entfliehen, dich losreißen, mich ablegen, als wäre ich eine Last. Auf deine Vergänglichkeit blickend verwehrst du dich dir selbst. Du hast meine Ruhe verschlungen, selbst über die Gezeiten hast du dich hinweggesetzt. Sag wer bist du, dass ich deinem kleinen Herzen folge, obwohl die Kraft einer ganzen Erde an mir zieht. Wir erschufen den Kammerling, weil du meine dunkelsten Tiefen ergründen wolltest. Und mit den Schwingen des Sperbergeier suchtest du nach der Grenze der Welt. Und dein Menschenkind? Was ist seine Bestimmung? Schwimmt es nicht gegen den Strom? Und wenn am Ende alle ihm folgen, sag mir, ändert sich dann auch der Lauf der Strömung?
Du wolltest das Bild prüfen, so haben wir dir die Augen geformt. Du wolltest Hören, allein für dich und reden, damit du dich unterscheiden lernst von den deinen und sie zum Schweigen bringst um dich selbst zu erkennen. Du wolltest fühlen, mit deinen Händen und mit deinen Gedanken. Du wolltest selbst das durchdringen, was dir all deine Sinne erklären aber nicht begreifbar machen können. Du möchtest mit deinen Augen das Unsichtbare sehen, mit deinen Ohren die Stille erforschen, und mit deinen Worten baust du Geschichten um dir Unvorstellbares vorzustellen.
Vielleicht willst du alles ergründen, selbst die Leere der Gier, und vielleicht suchst du am Ende der äußersten Grausamkeit den Pfad zum Glück.
Alles willst du durchdringen, alles Fühlbare fühlen, selbst den letzten Ton des Schmerzes, damit du die Melodie eines Stücks zu spielen vermagst, dessen Bedeutung du vergessen hast oder für immer verborgen bleibt. Vielleicht suchst du den Weg nach Hause, ehe dieses Universum mit allem Sein vergeht. Vielleicht bedarf es aller erdenklicher brutalster Gewalt, so wie Sonne dich gnadenlos verschlingt, doch dir im richtigen Abstand am Morgen die Nase kitzelt. Vielleicht möchtest du in allen Gefühlen verglühn‘, weil selbst, ein kleinster Funke von dir heller strahlt, als aller Sterne Licht. Vielleicht erschaffen wir etwas Spürbares, das noch keinen Namen hat, das noch nie erfahren wurde. Vielleicht bedarf es dieses kleinen Flimmerns das dir fehlt um das Verborgene zu erkennen.
Du gleichst einem Kind, das in den Brunnen viel und zu ertrinken droht, obwohl du es selbst warst , der den Brunnen grub. Und obgleich du dich wehrst gegen die Gefahr zu ertrinken, ist das, was dir den Atem raubt nichts anderes als das, was dich Atmen lässt und diese Gedanken gebiert.
Du gibst mir eine Stimme, damit ich dich fragen kann. Aber ein Spiegel gibt dir keine Antwort. Selbst in den fremden Augen deiner selbst wirst du das Geheimnis nicht ergründen, so wie ein Ball der zu Boden fällt nicht an den Punkt zurückkehrt, von wo aus seine Reise begann. Und wenn du meinst, du könntest ihn zurückwerfen, viel höher noch, dann bedenke dass du es selbst bist, der geworfen wurde.

Vielleicht hast du dich Vergänglich gemacht, damit du nicht müde wirst, dich zu vollenden. Und vielleicht ist es nicht an dir, diese Welt zu verstehen, vielleicht bist du der Same eines Baumes der gestern schon bestand damit im Morgen eine Erinnerung wächst. Ein Same, der erst dann Früchte trägt, wenn längst nichts mehr von ihm übrig ist. Wenn du nach vorne blicken willst dann kommst du nicht umhin einen Fuß hinter dir zu lassen, damit der andere voranschreiten kann. Auch die Lachse schwimmen nicht den Fluss hinauf, weil sie an das Morgen denken, sondern weil die Erinnerung sie dort hin trägt. Und ihr Tod ist kein Spiegel, er ist eine Grenze, eine Scheibe, ersichtlich aber undurchschaubar zugleich.
Doch gräme dich nicht, die die vor dir waren, sie mögen dir erscheinen wie die Seiten in toten Büchern. Doch waren sie hier. Sie haben geatmet, gehofft, geliebt. Ihre Stimmen hatten Klang und deine Worte sind aus dem Echo ihrer Lebendigkeit gewebt. Wenn du die Augen schließt, dann kannst du ihre Umarmung spüren. Und wärest du bei ihnen, würden sie dich in den Armen wiegen wie ein Kind, sie würden dich lieben, mehr als den Morgen.

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