Heute wär’ mein Vater hundert Jahre alt geworden
Schon ist er mehr als ein Vierteiljahrhundert tot,
Mir bleiben noch die Erinnerungen.
Er ist befreit aus der erdnahen Not
Und keiner kennt ihn mehr von den Jungen.
Dabei sollten doch ehrlich sie alle wissen:
Der Krieg hat ihn um seine Jugend gebracht,
Der Diktator hat ihn heruntergerissen,
Deutschland gebracht die tiefschwarze Nacht.
Vater war schlank, er war stolz, er war groß,
Bei der SS wollte man ihn deshalb gern haben.
Er verweigerte sich des Teufels Schoß,
Wo Herrenmenschen zum Vernichten traben.
Als Soldat kam er in Kriegsgefangenschaft
Bei La Flèche, im zerstörten Frankreich,
Blieb lange dort mit Gleichaltrigen in Haft,
Lange wurde er davon nicht frei.
Doch die schwarze amerikanische Soldaten
Schnipsten immer wieder Kippen durch den Draht
Damit die Gefangenen zu rauchen hatten –
Und er schwärmte von deren guten Tat.
Endlich frei und wieder bei Mutter daheim
Schwor er sich: „Niemals wieder Krieg!
Geht den Diktatoren nicht auf den Leim,
Allein Frieden bedeutet für uns den Sieg!“
Und so ist er lieber Milchprüfer geworden,
Bis er die Milch nicht mehr riechen konnte.
Er war lebenslang gegen Willkür und Morden,
Ehrsamkeit, Gerechtssinn seinen Geist besonnte.
Denn je mehr Flüchtlinge nach 1945 kamen,
Desto mehr milderte er im Amte deren Not,
Indem die Sozialhilfen Gelder hernahmen,
Das Landratsamt nun sein Beruf und Gebot.
So ist er gern in die neue Zeit gegangen,
Hat die Politik dennoch kritisch begleitet,
Den Ärmsten geholfen, die Hilfe verlangen
Und uns Kindern unsere Zukunft bereitet.
Aus einfachen Verhältnissen unehelich gekommen
Blieb er bescheiden und erschuf sich ein eigenes Haus,
Hat es freudig mit seiner Frau in Besitz genommen,
Lebte sehr sparsam dort, niemals in Saus und Braus.
Immerzu wollte er diplomatisch bleiben,
Ehrlich und fair seinen Lebensweg gehen
Und möglichst keine Schulden anschreiben,
Um optimistisch in die Zukunft zu sehen.
Der Kalte Krieg belastete uns alle,
In Beratern sah er oft Geldsammelleute.
So tappte er auch nicht in deren Falle
Und hatte am Leben einfach nur Freude.
Seine Frau, seine Kinder waren sein Schatz,
Im Sommer goss er jeden Abend den Garten,
Hielt sich fern von Intrigen und jeglicher Hatz,
Wollte lieber die erfolgreiche Ernte abwarten.
Als er dann doch diese Welt verließ,
Weil Herz und Nieren ihm versagten,
Da ersehnte er das himmlische Paradies,
War neugierig, ob sie an ihn dachten.
Mir war er ein guter Vater gewesen
Auch wenn er mich manchmal züchtigte.
Mitunter kehrte er mit eisernem Besen,
Wenn er meine Schieflage berichtigte.
Dann ging ich zum Peter, meinem Kater
Und habe dem davon lange erzählt,
Gesagt, was mein überstrenger Vater
An Untugenden bei mir aufgezählt.
Und manche Worte sind mir noch im Ohr,
Wenn er mit mir Diskussionen führte.
Manchmal hole ich sie noch hervor,
Weil er damit sehr viel Wahrheit kürte.
©Hans Hartmut Karg
2021
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