Ich bin eine Wolke. Ja, so richtig schön kitschig: weiß, flauschig-bauschig, kann vor allem hinwegfliegen, die Welt kennenlernen in all ihren rosaroten Farben.
Keine kleine-Kinder-Wolke, erwachsen, aber noch nicht bereit loszulassen, und aber doch will ich hinauf und über den Dingen schweben, nicht bedenken oder überdenken, einfach auf Teufel-komm-raus.
Und ich stehe am Berg und kann nicht einmal ein Blinzeln für den Blick gen Boden abgewinnen. Ich weiß doch, was da ist, das habt ihr mir doch schon alle gesagt, ich “weiß” wie es dort unten aussieht. Also fliege ich.
Ich habe nächtelang träumerisch und Tag für Tag tagträumerisch dieses Gefühl vorgefühlt, aber es ist dann doch alles anders, oder? Und das frage ich mich während ich fliege – ich fliege! – und doch das mache, was ich eigentlich schon immer machen wollte.
Aber ich trau’ mich noch immer nicht hinabzuschauen. Trauen? Ich meine, ich will es nicht, denke ich, bzw. ich hab es nicht zu wollen – das weiß ich!
Und während ich fliege träume ich weiter und schließe die Augen…
All diese saftigen, grünen Wiesen mit Gänseblümchen und Bockshornklee, das melodisch-melancholische Kuhglocken-Vogelgezwitscher-Symphonieorchester, der Geruch von Salzmeeren und der Meersalz-Geschmack auf meiner wolkigen Zunge. Und dazu, ganz dezent, das seichte schwarz hinter meinen geschlossen Augen, die sich nicht zu öffnen trauen, weil ich doch weiß, wie es aussehen soll.
Aber so allmählich, nein eigentlich schon relativ schnell wird mir etwas kalt, ich friere, aber kein Grund zur Sorge, mir wurde immer gesagt, dort ist es sonnig und warm, also fliege ich weiter.
Ich schmecke, rieche und höre nichts mehr, aber das ist nicht so schlimm, weil ich ja weiß, wie es schmecken, riechen und sich anhören soll.
Ich träume weiter…
Sorgloses Orchideen-orangeweißgelb erfüllen die stadtleere Skyline hinter dem Meereshorizont. Dort soll ein Garten sein, mythisch und befreiend, dort möchte ich anhalten und doch einmal schauen, wie pfirsichgelb die Pfirsiche sind und wie zitronig die Zitronen duften.
So über dem Meer ist es dann doch ganz schön kalt, ich würde gerne eine Jacke tragen, aber ich bin ja eine Wolke und die kann so etwas nicht, wie mir immer gesagt wurde, aber das ist wirklich nicht so schlimm. Ich weiß doch ganz sicher, dass alles anders ist, dort wo ich hingehen werde und ich freue mich.
Und ich öffne dann doch die Augen, weil ich so gespannt bin und die Spannung so unaufhaltsam spannungsvoll ist. Aber da ist gar kein Garten, keine Zitronen oder Pfirsiche.
Da ist eine Klippe.
Ich fühle mich alleine und ich will zurück, weil ich bin hilflos, aber es ist so kalt und ich habe keine Jacke. Und ich weine, weil ich sehe, dass ich keine Wolke mehr bin und ich jetzt nicht zurück über die Berge und Täler komme, die ich passiert habe, die aber vielleicht doch keine Berge und Täler waren… ich weiß es nicht, weil ich ja nicht hingeschaut habe, aber sie werden solche gewesen sein müssen, denn das wurde mir doch gesagt.
Doch ich versteh das nicht, weil sie haben doch gesagt, ich werde immer eine Wolke bleiben und ich kann hinaus, die Welt erwartet mich, und all die schönen Dinge sehen, die mir so oft beschrieben worden sind.
Aber ich bin doch keine Wolke mehr und die Welt ist so anders, so anders als ich sie kenne, beziehungsweise so anders als ich denken soll wie sie es wäre, es dann aber doch nicht ist.
Und ich bin allein. Ich hoffe, dass jemand kommt, der mich holt und mich wieder zurückbringt.
Aber ich weiß, dass niemand kommt.
Hätte ich nur eine Jacke dabei.
Doch mir wird wohlig und ich bin gesonnen, denn mir fällt die Lösung ein: ich schließe einfach wieder meine Augen… da ist wieder die Sonne, der Garten, die Früchte und Düfte, die Vögel und Kuhglocken, die Berge und Täler.
Es wird mir wieder wärmer. Mit geschlossenen Auge sehe ich, dass ich wieder eine Wolke bin.
Jetzt fühle ich mich so unbeschreiblich herrlich!
Bereit, die mir unbekannte und dennoch so gut bekannte Welt, wie sie mir so zahlreich dargestellt wurde, zu erkunden. Also plustere ich meine Wolkenflügel auf und fliege wieder los.
Nur ist irgendwas anders. Ich komme der Sonne, dem Garten, den Früchten nicht näher. Verwirrt, weil ich plötzlich so anders empfinde als wie es mir gesagt wurde, wie ich zu empfinden habe, schlage ich die Lieder auf und erkenne: ich falle.
Weder Sonne, noch Garten. Weder Berge, noch Täler. Weder Vogelgezwitscher, noch Kuhglockenklänge. Es ist die gleiche Klippe wie vorhin, nur stehe ich immer noch auf ihr. Beziehungsweise stand ich, und nun falle ich. Ich habe große Angst.
Hoffentlich steht unten jemand und hat mir ein großes Netz gespannt und fängt mich auf und ich bin heil und mir ist nichts passiert. Das muss doch sein. Das weiß ich…
Ich schließe meine Augen um dem freien Fall zu entfliehen.
Ich schlittere eine riesige Wasserrutsche zwischen den Wolken entlang – puh! ganz schön steil! – und unten höre ich meine Wolkeneltern und -freunde jubeln, weil sie stolz sind, dass ich gegangen bin, um alles zu sehen, was sie mir so oft gesagt haben. Und ich freue mich ihnen von meinen seltsamen Träumen zu erzählen, von Klippen und freiem Fall, und sie jubeln mir zu, weil ich gleich mit einer mächtigen Arschbombe im Wasser lande. Ich fühle das kühle Nass, wie es von meiner Haut schon beim ersten Aufprall abperlt.
Doch irgendetwas ist anders, ich bin plötzlich so müde… ich versuche an den Rand zu schwimmen, aber ich schaffe es nicht, und alle stehen nur am Rand und schauen zu.
Aber das ist nicht so schlimm, denn mir wird wieder warm, also mache ich die Augen zu, aber da ist nichts. Alles schwarz, geräuschlos, undurchdringbar, und ich habe Angst, aber die ist schnell verflogen, denn ich schlafe ein.
Also liege ich dort, am Fuße der Klippe, auf dem Boden des Pools am Ende der Wasserrutsche, auf dem Schwarz des Schwarz’ in meinen Augen.
Dennoch bin ich froh, denn ich bin an einem Ort, von dem ich nicht wusste wie er aussehen soll, nach was es dort riecht oder welche Töne ich dort zu hören bekomme. Ein Ort, von dem ich mir mein eigenes unverfälschtes Bild machen kann. Doch wäre es hier nur nicht so dunkel und still…
© P.Haupt, 2018
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