Wohl das perfekteste Gedicht ist
das Gedicht, das es nicht gibt
Das Nicht-Gedicht ist nicht banal
Es ist geradezu genial
Es übt Verzicht auf all das,
was üblich macht ein Gedicht
Es kommt ohne Wörter, Sätze, Zeilen aus
Applaus, es stellt nicht einmal
die Reim-Pflicht-Frage
Wortlos reimt sich alles und nichts
Das Nicht-Gedicht ist einzigartig,
weil meisterhaft schlicht
Im Minimalismus liegt sein Charme,
sein Reiz, sein Gewicht
Durch Schweigen versteht es
sein und seines Verfassers
offenes Gesicht zu zeigen
Kein anderes Gedicht ist
ein LEER-Gedicht und
ein LEHR-Gedicht zugleich
Ein Nicht-Gedicht macht
an Erkenntnis und Weisheit reich
Es lehrt, wie bedeutungslos
und leer Sprache ist
Es belegt, Blablabla und Reden
bleiben eitler Schein
Sie müssen nicht sein
Das Nicht-Gedicht ehrt
die Leere des Lebens,
eines Daseins, das völlig vergebens
Es ehrt sie sparsam poetisch,
indem es sie leer faszinierend lehrt
Stephan Wannovius, 06.01.23