Die Baronessa

von | 22.Jul.2021 | Poesie | 1 Kommentar

 

 

Die Baronessa

 

Jedes Jahr zur Osterzeit

Kam sie ins Aqua Termale,

Trug ihr buntes Blütenkleid,

Das man schöner sich nicht male.

 

Sie war schon an die neunzig Jahre

Und kam vom Süden angereist

Gut frisiert die weißen Haare,

Weil sie gern das Schöne preist.

 

Still saß sie bei ihrem Mahle,

Königlich ließ sie sich Zeit,

Beobachtete uns im Saale,

Zum Rotweintrunke gar bereit.

 

Wenn sie aufstand, nahm sie mit

Bestecke – auch die Streubehälter

Und ging langsam, Schritt für Schritt

Vorbei an jedem Hinterwäldler.

 

Verwundert wir den Ober fragten,

Ob sie denn oben essen würde,

Weil sie uns allen immer sagten,

Das sei doch leider ohne Würde,

 

Der lachte und er sagte leise,

Sie wäre eine Kleptomanin,

Raubte bei jeder Urlaubsreise

Bestecke – für sie ein Gewinn.

 

Doch sie zahlt gut, die Baronessa,

Schwimmt und gibt allen gern Trinkgeld:

Dafür sind wir ja schließlich da,

Sie lebt in ihrer eigenen Welt!“

 

Von ihr hab’ ich niemals erfahren,

Ob dies Manie oder nur Spiel.

Vornehm blieb sie in all den Jahren,

Bestecke blieben stets ihr Ziel.

 

Da war ich doch sehr überrascht,

Wie leicht man im Hotel das nahm,

Wenn mitgenommen, reich betascht

Sie wieder in ihr Zimmer kam.

 

War sie im Bad, holte man ab,

Was sie alles gehortet hatte.

So hielt den Ober sie auf Trab,

Für sie war er fast wie ein Gatte.

 

Das hat Italien wohl besser

Mit solchen Menschen umzugehen,

Die stehlen Löffel, Gabel, Messer –

Und lächelnd kann man drübersehen…

 

 

©Hans Hartmut Karg

2021

 

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